Aris Fioretos

Die Wahrheit über Sascha Knisch

Roman
Cover: Die Wahrheit über Sascha Knisch
DuMont Verlag, Köln 2003
ISBN 9783832178291
Gebunden, 351 Seiten, 22,90 EUR

Klappentext

Aus dem Schwedischen von Paul Berf. Berlin, Deutschland im glühend heißen "Jahrhundertsommer" 1928. Die sexuellen Gewohnheiten von Sascha Knisch sind von besonderer Natur. Eines Abends trifft er in dem Kino, in dem er als Vorführer arbeitet, die rätselhafte Dora Wilms wieder - seine "Madame". Eine Woche später ist sie tot, und Kommissar Manetti beschuldigt ihn des Mordes. Als Sascha Knisch versucht, seine Unschuld zu beweisen, gerät er in die Verstrickungen einer wissenschaftlichen Verschwörung. Was geht vor in der Stiftung für Sexualforschung? Knisch wird hineingezogen in eine Geschichte, deren rettende Wahrheit in dem liegt, was nicht geschehen ist.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.07.2003

Ein "raffiniertes Buch der geschlechtlichen Verwandlungen und Täuschungen" sieht Rezensent Wolfgang Schneider in Aris Fioretos' Roman um den Kinomaschinisten Knisch, der sich im Berlin der zwanziger Jahre aufmacht, den Mord an seiner Freundin, einer Prostituierten, aufzuklären, wobei das Institut des Medizinalrats Froehlich, eine literarische Verarbeitung des Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld, eine bedeutende Rolle spielt. Mit "viel Witz und Verstand" inszeniere Fioretos den Berlin-Mythos der großen sexuellen Ökumene, freut sich Scheider. Er hebt hervor, dass Fioretos' Roman, obschon er auf praktisch jeder Seite vom Sex handle und bis hin zu den sogenannten "Hodenfilmen" den "schrägen sexuellen Diskurs" der Zwanziger rekonstruiere, "eigenartig dezent" bleibe. Hier fehlt Schneider das Dunkle des Triebes, in einem prüden Text von Stifter sei "mehr Sog ins Abgründige als hier", schreibt er. Auch sonst kann ihn der Roman bei allem Wohlwollen nicht immer ganz überzeugen. Die Handlung findet er "labyrinthisch", und vor allem im letzten Drittel "blass und ausgedacht". Auch das Gewand des Kriminalromans erscheine dem Stoff zunehmend aufgezwungen. Dennoch: "Aris Fioretos ist ein außerordentlich begabter Autor", resümiert Schneider, "und nach Lektüre dieses Romans kann man sich vorstellen, dass er noch bessere schreiben wird."
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 16.06.2003

Jutta Person ist begeistert von diesem "Gender-Thriller", der in der Weimarer Republik spielt und unter anderem eine Bruderschaft vorstellt, die in den Hoden das Heil der Gesellschaft zu finden glaubt. In der Geschichte, in der ein "Damenblusen" tragender Filmvorführer des Mordes an einer sanften Domina angeklagt wird, werden Sexualbiologie, Politik, Filmgeschichte und Kriminalistik "aufs Eleganteste" zusammengestellt, schwärmt die Rezensentin. Der Autor stütze sich zwar auf historische Ereignisse und Fakten, vermische sie aber mit fiktionalen Elementen und verfremde sie "fantasievoll", so Person. Den theoretischen Hintergrund dieses Roman sieht sie in den "postmodernen Körpertheorien" verankert und es freut sie besonders, dass es Fioretos so gut gelinge, "graue Theorie" zu einer "guten Geschichte" zu machen. Dass er sich zudem als "Meister" der Andeutung erweist, der das "Schlüpfrige" niemals vollständig "enthüllt", lobt Person besonders.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 03.06.2003

Eigentlich schätzt Rezensent Andreas Breitenstein den schwedischen Schriftsteller Aris Fioretos, der sich als Übersetzer von Hölderlin und Nabokov einen Namen gemacht hat. Doch an seinem jüngsten Roman kann er keinen Gefallen finden. Das Grundproblem des Buches besteht für Breitenstein darin, dass er zum Schluss die Wahrheit über Sascha Knisch einfach nicht mehr wissen will. Die Geschichte spielt im Berlin der späten zwanziger Jahre. Es geht um Mord und Liebe, um Kino und Sexualwissenschaft, um Wahnsinn und Heilslehren. All das ist so aufgeladen mit Zitaten und Bezügen, doppelt elaboriert und dreifach codiert, stöhnt Breitenstein, dass allein Studenten der Semiotik und Medientheorie ihre Freude daran haben können. Er selbst hätte sich dagegen mehr Leben in diesem Labyrinth gewünscht, eine Erzählung, deren Figuren mehr sind als Funkton "innerhalb einer literarischen Infinitesimalrechnung".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 19.03.2003

Ganz am Ende rückt Roman Luckscheiter mit der Wahrheit heraus und nennt das Buch schlicht ein "Meisterwerk". Vor dem Hintergrund des "mondän-verlebten" Berlin der Goldenen Zwanziger lässt Fioreto seinen Protagonisten auf der Suche nach dem Mörder seiner Domina immer tiefer in die Grauzone des perversen Berlins hinabsinken, erzählt er. Zeit und Ort dienten aber nicht nur als Hintergrund, sondern würden selbst zum Thema in den Aussagen der Sexologen und Professoren, den Hellsichtigen des Milieus, die dunkle Jahre prophezeien; der Direktor des Sexologischen Instituts etwa sehe eine "braune", weil analfixierte Kultur heraufziehen. So wird Fioretos erzählerischer Rückblick für den Rezensenten zum "Kaleidoskop vorausahnender Apercus". Und damit nicht genug. "Wie es sich für ein Meisterwerk gehört", sei der Roman auch eine Auseinandersetzung mit sich selbst, "mit der Kunst des Arrangements und der Wahrheit des Erzählens".